Tagebuch

Stuttgarter Zeitung vom 5.12.2012

 

 

"Oft genug hat sich der Gemeinderat keinen Fatz überlegt, ob man auch andere Lösungen finden kann"

SPD-Stadtrat Peter Ritz

Göppingen - In seinen letzten Wochen nach 32 Jahren als Eislinger Bürgermeister hat Günther Frank noch mal so richtig am langen Hebel gesessen. Das passte, denn er hatte seine Amtsgeschäfte des öfteren und mit großer Lust von einem Bagger aus geführt. Zum Wohle einer zukunftsfähigen Innenstadt wurden in seiner Ägide viele Bauflächen freigeräumt, der „Baggerbiss“ jeweils offiziell zelebriert. So fielen zwei baufällige Häuser an der Hindenburgstraße. Alex’ Rockbar an der Mühlbachstraße wurde geschleift, und an der Ulmer Straße hat eine alte Arztvilla dem neuen Polizeirevier Platz machen müssen.

Verlust historischer Bausubstanz

2010 trat Frank ab, doch Eislingen hält an seiner Politik fest. Beschlossen ist der Abriss des Schlosstheaters und des Hauses an der Hirschkreuzung vor der Lutherkirche sowie der Gebäude Stuttgarter Straße 16 und 18. Künftig soll dort der Neubau eines Gesundheitszentrums stehen. Bei den beiden Gebäuden in der Stuttgarter Straße handelt es sich um das Haus Notz, in dem es einmal lange Unterhosen und später italienisches Gemüse gab, sowie um die alte Wache, in ihren letzten Tagen die laut der Polizeigewerkschaft marodeste im ganzen Land. Früher waren in dem Gebäude das Rathaus von Kleineislingen und auch die Schule untergebracht. Das hat der SPD-Stadtrat Peter Ritz recherchiert.

Er ärgert sich darüber, dass in der Stadt so viele Gebäude einfach plattgemacht werden, wobei das eine oder andere „Abbruchunternehmen“ durchaus mit seiner Stimme beschlossen wurde. Aber: „Oft genug hat sich der Gemeinderat keinen Fatz überlegt, ob man auch andere Lösungen finden kann“, kritisiert Ritz den Verlust historischer Bausubstanz. Am meisten bangt er nun um die Schlossapotheke. Deren Abriss ist noch lange nicht beschlossene Sache. Sie stört aber die Planungen für die neue Mitte mit dem neuen Rathaus.

Homepage mit Augenzwinkern

Weil Ritz aber sehr wohl um die Mehrheiten im Gemeinderat weiß und zudem nicht alles bierernst nimmt, kämpft er nun mit Mitteln der multimedialen Satire für seine Sichtweise. Er hat die Homepage www.wegmitdemaltenscheiss.de kreiert. Dort stellt er den Abriss weiterer Gebäude anheim, die Eislingen nicht mehr gebrauchen könnte, darunter nicht nur das Schlosstheater und der Gasthof Grüner Baum, die ohnehin zur Disposition stehen, sondern auch der Gasthof Adler sowie Marstall und Schloss. „Wenn man alle ein­ebnen würde, bekäme man zwischen dem ehemaligen Dr.-Scheller-Gelände und Zeller und Gmelin einen großen Platz, der Eislingen angemessen wäre und dem Roten Platz in Moskau Konkurrenz machen könnte“, ulkt Peter Ritz. Nicht so ulkig findet das der Oberbürgermeister: „Herr Ritz trägt mit dieser Seite selbst dazu bei, dass er von der Bevölkerung nicht mehr ernst genommen wird“, konstatiert Klaus Heininger, der mit dem SPD-Stadtrat bei den Beratungen über die Stadtentwicklung schon manchen Strauß ausgefochten hat. Der Rathauschef räumt aber ein, dass Ritz wohl den Bogen so arg überspannt habe, dass man schon wieder darüber lachen könne.

Möglichkeit der bürgerlichen Beteiligung

Ritz wiederum sieht Verbindendes. Das schöne an seiner Internetseite sei die Möglichkeit der bürgerlichen Beteiligung, die ja auch dem OB lieb und teuer sei. Jeder könne weitere Abrissvorschläge einreichen. Ein paar hat Ritz noch in petto. „Wie wäre es mit der Alten Post oder dem Alten Rathaus?“, meint er. Beide böten sich schon durch den Vorsatz „Alt“ zum Abbruch an. Denkbar wäre auch die Einebnung der St. Anna-Kapelle am Friedhof zur Begradigung der Salacher Straße. Als Ausgleichsmaßnahme im Sinne des Landschaftsschutzes könnte dann der Ortsteil Eschenbäche komplett abgeräumt und zum Trockensteinmauerbiotop umfunktioniert werden – gedanklich und nur auf www.wegmitdemaltenscheiss.de.